REISE
Das Wort Reise evoziert die unterschiedlichsten Assoziationen. Überall wo transitorische Prozesse eine Rolle spielen, wird der Begriff Reise als Metapher verwendet. Auch im akademischen Zusammenhang ist diese Verwendung sinnvoll, wenn man das Studium als Erfahrungsreise zu einem möglichen Ziel hin versteht, eine erste Station, die zu weiteren Reisen anregen soll. Das Leben selbst ist oftmals als Reise beschrieben worden, besonders in der Frühromantik als Suche nach dem eigenen Ich und einer universalen Denkform, die alle Lebensbereiche tangieren sollte. In den Künsten ist die Reise zu allen Zeiten eines der großen Themen.
So haben die Künstler Joseph Beuys und Marcel Broodthaers das Thema der Reise immer wieder in unterschiedlicher Weise aufgegriffen. Dem 1970 entstandenen Film Transsibirischen Bahn von Joseph Beuys liegt eine utopische Idee zugrunde, die sich aus seinem Erweiterten Kunstbegriff speist. Der Film zeigt einen Raum, dessen durch die Kamera verursachten Schwankungen eine Schiffsreise simulieren. Beuys’ einziger, in dem Film gesprochener Satz Gespräch am Strand zu lang scheint einen Abschied zu meinen. Zwei Ideen sind hier zusammengeführt, zum einen die Erschaffung einer neuen Kultur aus der Vereinigung von Europa und Asien zu Eurasia und zum anderen der daraus resultierende notwendige Abschied von der „einseitigen“ Kultur Europas und der traditionellen Kunst, die Beuys in den mit dem Gesicht zur Wand gedrehten Leinwänden symbolisiert, die er am Ende unwiderruflich mit Nägeln fixiert.
Der Film Voyage on the North Sea , den Marcel Broodthaers zwischen 1973-74 gedreht hat, steht im Zusammenhang mit zwei weiteren Filmen ( Analyse d’une Peinture, 1973 und Deux Films, 1973), die sich mit der Analyse eines Seestücks auseinandersetzen. Bei dem kleinformatigen Bild handelt es sich um ein Laienbild aus dem 19. Jahrhundert, das Broodthaers in Paris erworben hatte. Das Thema Reise wird in A Voyage on the North Sea zu einer filmtheoretischen Auseinandersetzung über die fortlaufenden Bilder und deren Zeitlichkeit. Gegenstand des Films ist das Aufblättern der wie in einem Buch mit Seitenzahlen nummerierten Filmbilder, wobei Broodthaers’ Grundthema, die Beziehungen zwischen Text und Bild, analysiert und diskutiert werden. Reise ist doppelsinnig gemeint, als Fernweh, symbolisiert in den auftretenden Schiffen und als Diskurs über die Bildlichkeit des Films, der Malerei und der Photographie.
Alle Studenten sind eingeladen, den beiden Werken zum Thema Reise einen eigenen Beitrag hinzuzustellen, der sich frei entwickeln, aber auch die Spanne zwischen Utopie und Analyse aufgreifen kann. Jeder darf sich im Raum einen Platz für sein Werk unter der Bedingung aussuchen, dass die Arbeiten der anderen nicht gestört werden. Jede Berührung sollte abgesprochen sein. Der Schlüssel für den Raum ist an … erhältlich. Die Ausstellung und unsere gemeinsame „Reise“ werden am 24. Juni, am Abend der Schließung vollendet sein.
Eugen Blume